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Letzte Kamau
~ Auf dem E5 über die Alpen ~

Hi, ich heiße Gregor und ich liebe die Berge. Im August 2024 hab ich mir einen Traum erfüllt und bin zusammen mit meinen Kumpels Christian und Alex und Christians Sohn Jason auf dem Fernwanderweg E5 über die Alpen gewandert. Mehr als 80km zu Fuß in 6 Tagen von Oberstdorf bis nach Vernagt in Südtirol. Es war eine traumhafte, unvergessliche Reise und was wir auf dieser alles erlebt haben, erzähle ich euch hier.

Der Vorabend

Die Welt geht unter. Es ist zwar erst früher Abend aber schon zappenduster. Ein Gewitter zieht über uns hinweg. Wir sitzen angespannt in unserem Vorzelt auf einem Campingplatz in Lechbruck am See. Sitzen ist gut. Hektisch schlagen Alex und ich noch Heringe in den Boden und zurren es richtig fest, damit es nicht wegfliegt.

Christian muss sich mit seiner Familie in seinen eigenen Wohnwagen verkriechen. Der Platz in den Vorzelten reicht nicht aus für alle. Schade, denn den letzten Abend hätten wir gerne nochmal gemütlich im Freien verbracht. Mit Kind und Kegel grillen und eine Runde plaudern. Daraus wird leider nix.

Gott sei Dank sind wir nicht heute schon zu unserer Alpenüberquerung aufgebrochen. Bei Gewitter im Berg muss nicht sein. Wir ahnen noch nicht, dass uns das Unwetter trotzem noch morgen auf der ersten Etappe beschäftigen wird. Wir sondieren sämtliche Wetter-Apps. Wie zu erwarten gibt jede eine leicht andere Prognose ab. Aber die nächsten Tage sehen alles in allem relativ gut aus. Einzelne Regenschauer und Gewitter können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Kein Drama, denn wir sind gut vorbereitet. Alex und ich gehen noch mal unsere Ausrüstung durch. Sollte passen. Noch ein letztes Bierchen, eine Runde Karten mit den Kids und dann geht es auch schon ab ins Bett.

Oberstdorf - Kemptner Hütte

6 Uhr, raus aus den Federn. Wir machen uns in aller Ruhe fertig und verabschieden uns dann schweren Herzens von unseren Liebsten. Mit Alex’ Auto fahren wir zunächst nach Fischen ca. 7km vor Oberstdorf. Dort gibt es nämlich einen kostenfreien Park & Ride Parkplatz in der Nähe vom Bahnhof. In Oberstdorf selbst sollen die Parkmöglichkeiten nicht so gut sein. Wir ergattern noch einen der wenigen freien Plätze und nehmen dann die nächste Bahn nach Oberstdorf.

Am Oberstdorfer Bahnhof stärken wir uns zunächst beim Bäcker, gehen noch mal auf die Toilette und schon kann es losgehen das Abenteuer E5. Es nieselt ein wenig, aber das Regenradar gibt Entwarnung. Schon in Kürze soll es aufhören und erstmal für ca. 3 Stunden trocken bleiben. Ein großes Regenfeld ist allerdings in Lauerstellung und bewegt sich langsam aber sicher auf uns zu. Bis es da ist sollten wir die 8km zur Spielmannsau aber locker schaffen und können dann dort beruhigt eine Rast einlegen.

Ist es zu Ende bevor es angefangen hat?

Vom Oberstdorfer Bahnhof schlendern wir erstmal durch die Innenstadt Richtung Nebelhornbahn. Die Geschäfte öffnen gerade, aber wir haben natürlich im Moment keinerlei Interesse an Shopping. Am Ende der Innenstadt überqueren wir die Trettach und wandern dann unter der Seilbahn hindurch an der Skisprungschanze vorbei linksseitig des Flusses ins Trettachtal hinein. Die Trettachspitze am Ende des Tals immer im Blick. Die Trettach wirkt wild und ungebändigt und führt extrem viel Wasser. Eine Folge des Unwetters vom Vortag. Ansonsten ist aber alles ruhig und friedlich und wir ergötzen uns schon an der umliegenden Bergwelt.

Nach einer Weile allerdings stört das Geräusch eines Baggers den Frieden. Zwei Männer bessern den vom Unwetter etwas lädierten Weg aus. Einer der Männer fragt uns, wo wir denn hin möchten. „Zur Kemptner Hütte“, erwidern wir in unserer Leichtgläubigkeit. Der Mann spottet. Wir könnten froh sein, wenn wir es bis zur Spielmannsau schaffen. Das Unwetter hätte schließlich die Straßen überspült, aber über die Wiesen könnte es gehen, wenn man Glück hat. Na toll! Ist unser Abenteuer schon zu Ende bevor es angefangen hat?

Wir gehen trotzdem weiter und hoffen, dass alles nicht so schlimm ist. Kurz vorm Brotzeitstüble Haseltopf ist die Straße tatsächlich gesperrt. Eine Umleitung ist aber bereits eingerichtet. Nach einem kleinen Trampelpfad durch eine Wiese gehen wir nun über die asphaltierte Hauptstraße. Dieser müssen wir leider weiter folgen, da der parallel verlaufende Wanderweg durch den Wald wegen Steinschlaggefahr gesperrt ist. Die Hauptstraße ist recht stark frequentiert. Nervig viele Autos und Shuttlebusse überholen uns oder kommen uns entgegen. Wir müssen am Rand im Gänsemarsch laufen. Uns beschleicht aber der Gedanke, dass der Bagger-Fuzzi von eben doch recht stark übertrieben haben muss. In der Tat. Wir passieren den Christlessee und erreichen kurze Zeit später ohne weitere Probleme den Berggasthof Spielmannsau.

Letzte Kamau

Der Himmel sieht mittlerweile wieder finsterer aus und es dürfte in kürzerer Zeit anfangen zu regnen. Wir entscheiden uns trotzdem, erstmal draußen unter der Markise Platz zu nehmen. Handyempfang haben wir keinen mehr, um mal die Wettervorhersage zu überprüfen. Also in Ruhe eine Gulaschsuppe schlürfen und dann mit Volldampf weiter. Wird schon nicht so schlimm werden. Dachten wir. Wir sitzen kaum, da fängt es an zu regnen. Und es schüttet immer stärker. Wir beobachten wie andere Wanderer den Weg Richtung Kemptner Hütte in Angriff nehmen. Die sind anscheinend nicht aus Zucker.

Wir schon ein bisschen und setzen uns dann doch lieber gemütlich nach Innen. Donner ist mittlerweile zu hören und mit einem schnellen Ende ist wohl nicht zu rechnen. Was also tun, um sich die Zeit zu vertreiben? Kein Internet, kein TV und an Spiele haben wir auch nicht gedacht. Unser Digital Detox kann also unfreiwillig beginnen. Beim Wirt gibt es immerhin ein Kartenspiel. Gut, wer kann denn eigentlich was? Der eine kann Skat, der andere Schafkopf und alle können Mau-Mau. Naja immerhin, los geht’s. Regeln sind allen bekannt. Jason hat nur noch eine Karte auf der Hand und ruft „Mau“. Das heißt „Letzte Karte“, protestier ich. Eine Diskussion entsteht, aus der kein eindeutiger Sieger hervorgeht. Blöd, wenn man nicht nachgooglen kann. Wir einigen uns schließlich auf „Letzte Kamau“. Nach gefühlt 50 Runden regnet es immer noch, aber es wird langsam spät und wir entscheiden uns - Zucker hin, Zucker her - nun endlich weiter zu gehen. Also Regenjacke an, Rucksack eingehüllt und weiter geht’s.

Streng nach Murphy’s Law hört es knapp 100 Meter nach dem Gasthaus auf zu regnen. Was für ein Timing. Gut gelaunt gehen wir den knapp 6km langen Anstieg an. 850 Höhenmeter warten nun auf uns. Nach der Talstation der Materialseilbahn für die Kemptner Hütte wird der Weg enger und das Gelände steiler und steiniger. Der Himmel ist mittlerweile aufgeklart und wir entledigen uns wieder der warmen Klamotten. Zunächst führt der Weg durch den Wald weiter oberhalb der Trettach. Heikel wird es kurz an einer Stelle, an der wir einen kleinen Steilhang an einem notdürftig befestigen Seil herunter hangeln müssen. Der eigentliche Weg über einen Bach wurde anscheinend weggespült. Eine kurze Kraxelei durch das Flussbett führt uns wieder auf den rechten Weg. Uns kommen zwei junge Wanderer entgegen und wir fragen, ob noch mehr heikle Stellen kommen. „Solche nicht, aber ein paar Wasserfälle am Wegesrand. Man wird ein wenig nass“, ist die Antwort. Cool, gegen Wasserfälle ist nichts einzuwenden.

Im Sperrbachtobel

Ein paar Meter hinter der Brücke über den Sperrbach beginnt dann der Aufstieg ostwärts zur Kemptner Hütte. Mittlerweile ist der Himmel wolkenfrei, die Vegetation karger und wir ächzen unter der Sonne. Die schöne Landschaft im Sperrbachtobel entschädigt uns aber für die Strapazen. Die Hänge sind grün bewachsen und überall schießen kleine Bäche ins Tal. Wir entdecken einen Alpensalamander. Diese pechschwarzen glänzenden Tierchen sehen aus wie kleine Ungeheuer aus der Urzeit.

Wir machen eine kurze Rast an der Kapelle Maria am Knie. Nach der Baumgrenze schlängelt sich der Weg direkt an den Steilhängen des Fürschließers entlang weiter bergauf. Am Ende des Tals thront prächtig der Große Krottenkopf. Die Wassermassen des Vortags sind noch nicht komplett abgeflossen und so kommen wir nun an den eben erwähnten unzähligen Wasserfällen vorbei. Wenn man aufpasst, wird man nicht nass, aber wir wollen nicht aufpassen. Wir genießen die kurzen Abkühlungen.

Zur Rechten erstrecken sich über den Sperrbach zahlreiche Eishöhlen bis zur anderen Talseite. Schmelzend in der Sommersonne kämpfen sie um ihr Überleben. Ein tolles Naturschauspiel und man möchte am Liebsten in eine dieser Höhlen hinabsteigen. Leider zu gefährlich und mittlerweile zieht der Himmel sich auch wieder zu. Wir sehen hinter uns, wie sich erneut dunkle Wolken über die Bergkämme schieben. Oben rechts präsentiert sich jetzt endlich die Kemptner Hütte. Aber noch sind wir nicht da. Die Regenklamotten streifen wir uns erstmal wieder über, da die ersten Tropfen fallen. Der Bogen zur Hütte durch das Talende zieht sich und knapp 300 Meter vor dem Ziel platzt es nur so vom Himmel. Egal, patschnass und überglücklich erreichen wir das Etappenziel auf 1.846 Metern.

Kemptner Hütte

Geiles Gefühl, die erste Etappe ist geschafft. Die Kemptner Hütte ist meine erste alpine Berghütte. Entsprechend kann ich deren Dimensionen zunächst nicht vergleichen und einschätzen. Sie wirkt aber recht groß und im Nachhinein betrachtet war sie dann auch die größte unserer besuchten Hütten auf dem E5. Schon die Masse an Klamotten in den 2 Trockenräumen haut uns um. Könnte aber auch deren Mief sein.

Wir hatten uns vorab ein Mehrbettzimmer reserviert und haben dieses auch für uns allein, obwohl noch 2 Betten frei sind. Der Wirt gibt preis, dass es aufgrund des Unwetters einige Stornierungen gab. Duschen gibt es auf der Kemptner Hütte ebenso wenig wie Strom auf den Zimmern. Von Handy-Empfang oder WLAN ganz zu schweigen. Außer für die Bediensteten. Die nette Kellnerin beim Abendessen möchte uns das WLAN-Passwort aber blöderweise nicht verraten. Die Auswahl in der Speisekarte ist üppig und im Allgemeinen fühlen wir uns in der Gaststube sehr wohl. An unserem Tisch sitzen noch drei junge Wanderer. Sie erzählen uns, dass sie am nächsten Tag den Heilbronner Höhenweg gehen wollen. Gespannt lauschen wir ihren Ausführungen und setzen den Weg auf unsere Liste für etwaige zukünftige Bergtouren. Dann übermannt uns aber auch recht schnell die Müdigkeit und wir verdünnisieren uns aufs Zimmer.

Alsbald liegen wir alle in unseren Schlafsäcken und merken, dass keiner das Bett am Lichtschalter bezogen hat. So endet der Tag noch mit einer kleinen „Wer-schafft-es-den-Lichtschalter-mit-den-Schlappen-zu-treffen“-Challenge. Alle versagen und letztendlich muss Jason dann doch notgedrungen wieder aufstehen.

Kemptner Hütte - Memminger Hütte

5:45 Uhr, Christians Wecker klingelt. Er hat beruflich bedingt keine Probleme mit dieser Uhrzeit, aber ich steh in der Regel eine Stunde später auf. Erstaunlicherweise gut komm ich aber aus dem Bett. Kein Wunder, es ist gefühlt nur einen halben Meter breit und bereits nachts wär ich beinahe raus gekugelt. Die Stimmung ist gut, kurz Zähneputzen, Waschen und dann zum Frühstück. Frühstück gibt es auf allen Hütten in der Regel zwischen 6:00 und 8:00 Uhr. Wir sind so ziemlich die Ersten.

Nach dem Frühstück brechen wir direkt auf. Draußen ist es etwas nebelig und ich habe mich für die lange Wanderhose entschieden. Ich bereue es sofort, da der Weg zunächst knapp einen Kilometer steil bergauf zum Mädelejoch führt und es doch wärmer ist als gedacht. Der Kessel, in dem die Kemptner Hütte liegt ist mit einer seichten Wolkendecke ausgehüllt. Ab und zu entsteht eine Lücke, durch die man die umliegenden Berggipfel sehen kann. Eine schöne Kulisse. Kurz vor dem Joch werden wir von den drei jungen Wanderern von gestern Abend überholt. Ihr Weg zweigt auch kurz darauf nach rechts ab zum Heilbronner Höhenweg. Wir wünschen viel Glück, da der Weg bei Nebel bestimmt kein Zuckerschlecken wird.

Höhenbachtal

Am Mädelejoch angekommen genießen wir erstmal die Aussicht. Das kleine Plateau mit seinen mit Gras überwachsenen kleinen Hügelchen und den Nebelschwaden zwischen den umliegenden Berggipfeln erinnert ein bisschen ans Auenland aus Herr der Ringe. Wir entdecken die ersten Steinböcke. Auf dem Joch verläuft die deutsch-österreichische Grenze und urplötzlich verspür ich die Lust auf einen Kaiserschmarrn und eine Almdudler. Ab sofort geht es bis Holzgau nur bergab. Der Weg ist zunächst recht steil und steinig, aber gut begehbar. Meine Wanderschuhe sind sehr rutschfest und die Wanderstöcke geben mir zusätzliche Sicherheit.

Nach 4 Kilometern erreichen wir die Rossgumpenalm im Talboden des Höhenbachtals. Zeit, die Wanderhose zu wechseln und sich das eben erwähnte Kaltgetränk zu gönnen. Die Speisekarte klingt sehr verlockend und eigentlich hab ich auch schon ein kleines Hüngerchen, aber wir haben entschieden, erst in Holzgau zu essen.

Nach der kurzen Pause machen wir noch einen Abstecher zum Rossgumpen-Wasserfall, der direkt hinter der Rossgumpenalm etwas versteckt einen Felsen hinunterstürzt. Danach nehmen wir die letzten Kilometer durch das Höhenbachtal in Angriff. Der Weg ist jetzt bis zum Café UTA sehr angenehm auf einem breiten Pfad mit nicht wirklich spürbarem Gefälle.

Am Café UTA müssen wir uns entscheiden, ob wir den Weg weiter durch das Höhenbachtal vorbei am Simmswasserfall nehmen möchten oder oberhalb des Tals bis zur Hängebrücke. Wasserfall hatten wir eben, also diesmal Hängebrücke. Und das obwohl Hängebrücken bei mir und Alex so eine Sache sind. Wir haben da beide so ein bisschen Höhenangst. Gut, nennen wir es lieber mal Höhenrespekt. Den Simmswasserfall können wir trotzdem von unserem Weg aus gut sehen und bewundern das Schauspiel aus einiger Entfernung.

Hängebrücke Holzgau

Nach gut 20 Minuten erreichen wir die Hängebrücke Holzgau und mir schwant bereits Übles. Die Hinweistafel verrät uns dessen Länge von 200 und Höhe von 110 Metern. Und natürlich kann man durch den Gitterboden nach unten schauen. Also Augen zu und durch. Ich vorne weg immer schön in der Mitte und Alex direkt hinter mir. Gegenkommende Passanten werden schon weit vorher mit grimmigen Blicken an die Seite gedrückt. Die Aussicht ist mit Sicherheit spektakulär, genießen kann ich sie aber nicht. Am anderen Ende angekommen bemerkt eine dort rastende Familie unsere Erleichterung. Die Mutter versucht uns zu beruhigen. Sie und ihr Mann seien schließlich Architekten und sie können uns versichern, dass die Brücke stabil und sicher ist. „Dennoch können sich Architekten auch mal verrechnen.“, relativiert sie mit einer gehörigen Portion Ironie. Gut, dass wir die reizende Dame nicht schon vor der Brücke getroffen haben. Wir fachsimplen und scherzen ein bisschen und gehen dann weiter.

Das letzte Stück runter nach Holzgau wandern wir über Asphalt. Es ist recht steil und so langsam fangen meine Fußsohlen an zu brennen. Angekommen in Holzgau gibt es nun zwei Möglichkeiten. Entweder wir wandern die knapp 15 Kilometer durchs Lech- und Madautal bis zur Talstation der Materialseilbahn der Memminger Hütte oder wir lassen uns bequem per Shuttlebus dorthin chauffieren. Da der Weg eh nicht so spektakulär sein soll, entscheiden wir uns für den Bus. Man muss es ja nicht übertreiben. Also noch im Supermarkt Proviant auffüllen, eine Kleinigkeit essen und dann für 17€ pro Nase rein in den Shuttle. Die Idee haben wir natürlich nicht exklusiv und entsprechend voll ist auch der Bus. Die Luft ist recht stickig und die Strecke durchs Madautal trägt ihr Übriges bei. An manchen Stellen wird einem schon ein wenig mulmig, da es direkt neben der Strecke in den Abgrund geht. Heil an der Seilbahn angekommen wartet nun der knapp 3,5 Kilometer lange und fast 800 Höhenmeter umfassende Anstieg zur Memminger Hütte.

Kein Trinkwasser

Es ist warm im Steilhang und wir kommen schnell ins Schwitzen. Nur selten kommt ein kühlender Lufthauch vorbei. Der Weg führt erstmal serpentinenartig durch bewaldetes Gebiet nach oben. Am Ende der Serpentinen öffnet sich eine Graslandschaft in einer weiten Talsohle. In der Ferne ist ein Wasserfall zu sehen und es ist gut zu erkennen wie sich der noch zu bewältigende Weg zunächst auf ihn zu bewegt und dann links von ihm weiter in die Höhe schlängelt. Wanderer bilden eine Perlenschnur im Hang. Wir wechseln uns mit anderen Gruppen aus dem Shuttlebus in der Führungsarbeit ab. Erste lockere Gespräche werden geführt und noch ist nicht zu ahnen, dass einige uns bis zum Ende der Tour begleiten werden. Darunter eine sehr nette Familie aus Stuttgart oder ein Vater mit seinen drei Töchtern.

Wir erreichen den eben erwähnten Wasserfall, an dessen Fuß eine kleine Behelfsbrücke über den Bach führt. Ein Vater und seine Tochter füllen ihre Wasserflaschen auf. Wir verzichten darauf. Ich hatte mir nicht wirklich darüber Gedanken gemacht, aber Christian hatte gemahnt, wir sollen auf keinen Fall aus Bergbächen trinken. Ein sehr guter Ratschlag wie sich später zeigen wird. Nach der Behelfsbrücke haftet an einem Felsen ein Schild, auf dem steht „Kein Trinkwasser“. Ein bisschen spät, da man das Schild vor der Brücke nicht sehen konnte. Aber wird schon nicht so schlimm sein, denk ich mir, und wir gehen weiter.

Eine Jugendgruppe überholt uns und wir quatschen ein bisschen mit den Betreuern. Für eine von ihnen ist es bereits das sechste Mal auf dem E5 und es ist immer anders und immer wieder wunderschön. Die Jungendlichen haben auch sichtlich Spaß, trotz des Anstiegs und trotz der Temperaturen. Ein anderer Betreuer kommt gebürtig aus Sachsen und Alex freut sich wie Bolle, dass mal jemand seine Heimat, das wunderschöne Vogtland, kennt. Die Gespräche machen den Anstieg kurzweiliger und schon bald erreichen wir das Hochplateau am Seekogel, auf dem sich die Memminger Hütte befindet. Das Plateau ist überzogen mit sattgrünem Gras und durchzogen von unzähligen Bächen. Eingerahmt in die umliegenden Berge sieht es ein bisschen aus wie eine Caldera eines erloschenen Vulkans.

Memminger Hütte

Wir schlendern langsam Richtung Hütte. Rechts sehen wir noch, wie Leute den Seekogel hinaufwandern. Wir werden uns das aber nicht mehr antun. Zu spät ist es bereits und zu erschöpft sind wir. Die Memminger Hütte sieht schon uriger aus als ihr modernes Kemptner Pendant. Vor der Hütte flattern bunte tibetische Gebetstücher im Wind. Ein toller Anblick mit der Bergkulisse im Hintergrund und der untergehenden Sonne. Innen bietet die Hütte allerdings ein wenig mehr Komfort als die Kemptner Hütte. Auch wenn es komisch erscheint, dass keine Wanderrucksäcke auf den Zimmern erlaubt sind und man diese in einem Gemeinschaftsraum parken muss, macht es vor dem Hintergrund der Gefahr von Bettwanzen allerdings Sinn. Warme Duschen gibt es auch, kosten allerdings 6€ für 4 Minuten. An der Rezeption warten wir hinter dem Vater mit der Tochter, die sich ihre Flaschen am Wasserfall aufgefüllt hatten. Ihr scheint es bereits sichtlich schlechter zu gehen und der Vater echauffiert sich, warum das Schild erst hinter der Brücke angebracht wurde. Der Mitarbeiter rechtfertigt sich damit, dass in jedem Bergführer geschrieben steht, dass man nicht aus Bächen trinken sollte. Schon gar nicht, wenn sie unterhalb einer Hütte fließen. Diese leiten nämlich ihre gefilterten Abwässer dort hinein. Noch sind wir uns der gesamten Tragweite nicht bewusst. Sie wird nur ein bisschen Magen-Darm bekommen und morgen ist alles wieder gut, red ich mir ein.

„Alte“ Bekannte

Wir checken auch ein, aber bevor wir uns frisch machen wollen wir erstmal was trinken. Die Gaststube ist gut gefüllt. Wir setzen uns an einen Tisch mit einer Familie, die gerade Karten spielt, und zwei jungen Mädels. Mit diesen kommen wir schnell ins Gespräch. Wir quatschen über die Erlebnisse des Tages und erzählen von der nervenaufreibenden Überquerung der Hängebrücke, als plötzlich vom anderen Ende des Tisches lautes Lachen erschallt. Es ist die Architektenfamilie von eben jener. Obwohl sie mir bekannt vorkamen, hatte ich sie nicht direkt einordnen können. Schön, unsere „alten“ Bekannten hier wieder zu treffen. So können wir ein wenig weiter plaudern. Ihr Urlaubsplan ist bemerkenswert. Gestartet am Bodensee wollen sie noch bis Bozen wandern. Innerhalb 4 Wochen mit einigen wenigen Tagen Pausen dazwischen. Mit meinen Kindern aktuell noch unvorstellbar, aber ich bin für die Zukunft guter Dinge. Deren beiden Kinder sind ja schließlich bereits am Ende des Teenageralters angekommen und haben sichtlich Spaß am Wanderurlaub.

Wir essen nun doch direkt noch zu Abend, da Gerichte à la Carte nur bis 17:30 Uhr serviert werden und wir keine Halbpension gebucht haben. Danach überlassen wir das Feld den Halbpensionären und gehen uns frisch machen. Wir Pfennigfuchser schaffen es doch wirklich, dass jeder nur zwei Minuten zum Duschen braucht. 12 Euro gespart. Nach dem Duschen möchten wir noch gesellig was trinken, doch die Gaststube ist jetzt rappelvoll. Wir müssen uns entsprechend mit unseren Getränken nach draußen setzen. Es ist zwar schon recht kühl, aber die Luft ist wunderbar rein, die Sonne geht langsam unter und die Bergwelt in der Abenddämmerung ist wunderschön. Wir genießen die letzten Minuten des Tages und gehen kurz vor der Sperrstunde um 22:00 Uhr auf unser Zimmer. Diesmal sind wir auch nicht unter uns. Zwei Jungspunde haben sich ebenfalls eingenistet, allerdings sind deren beiden Betten auf einer Empore oberhalb des Zimmers und wir bekommen von Ihnen nicht wirklich etwas mit. Im Gegensatz zu den quietschenden Betten, die einen gefühlt bei jeder Drehung aufwachen lassen. Ein Königreich für etwas Öl.

Memminger Hütte - Skihütte Zams

Wir sind wieder früh wach. Die Vorfreude drückt mich regelrecht aus dem Bett. Nach dem Frühstück schnappen wir uns unsere Rucksäcke, Stöcke und Schuhe und machen uns draußen vor der Hütte fertig. Ein Mann kommt vom Seekogel herunter und wir lauschen das Gespräch mit seiner Gruppe. Er hatte wohl gestern seine Brille beim Besteigen des Seekogels verloren und ist nachts um halb fünf aufgebrochen, um diese zu suchen. Immerhin hat er sie auch wieder gefunden. Ein anderer junger Wanderer läuft hektisch mit seinen Wanderschuhen in der Hand umher. Seine Sohle hat sich abgelöst und er sucht grad nach einer Lösung. Mal gespannt, wie diese aussehen wird.

Seescharte

Wir brechen allerdings schon auf. Zunächst steht der steile Anstieg zur Seescharte auf knapp 2600m Höhe an, bevor es danach bergab durchs Zammer Loch nach Zams im Inntal geht. Der Weg führt erst vorbei am malerischen Unteren Seewisee. Wir hatten gehört, dass hier gestern noch welche baden waren nach dem Wandern. Brrr, keine zehn Pferde würden mich dazu bringen. Kurz hinter dem See geht es in den Anstieg. Wir sehen erneut Steinböcke grasen und beobachten sie eine Weile. Kurz vorm Mittleren Seewisee beginnt links der Steilhang hoch zur Seescharte. Mittlerweile gibt es keine Vegetation mehr, sondern nur noch Geröll und der Blick geht immer wieder zurück zur wunderschön gelegenen Memminger Hütte mit ihrem Hausberg, dem Seekogel, im Hintergrund. Was für ein schöner Ausblick. Wie gemalt. Die Luft wird merklich dünner. Es ist anstrengend. Noch ein paar Meter und wir haben unser Zwischenziel erreicht. Die Seescharte gleicht einem Nadelöhr. Durch eine schmale Spalte und einem zur Hilfe befestigten Drahtseil an der Seite kommt man über die Scharte und auf der anderen Seite wieder für ein paar Meter durch eine Spalte runter. Es knubbelt sich und man muss vorsichtig sein.

Von Bozen bis Oberstdorf in 2 Tagen

Hinter der Scharte öffnet sich das Zammer Loch und das Panorama erstreckt sich über den Venet bis zu den Ötztaler Alpen. Sehr markant ist allerdings die kegelförmige Silberspitze, welche in diesem Augenblick durch die recht dichte Wolkendecke von einigen wenigen Sonnenstrahlen angeleuchtet wird. Hat schon etwas Mystisches. Ich bin begesitert von diesem Anblick. Wir machen nach dem anstrengenden Aufstieg eine Pause und genießen die Aussicht.

Nach der Pause nehmen wir den Abstieg nach Zams in Angriff mit der Silberspitze immer im Blick. Der Weg führt erst wieder den Steilhang hinunter und die Füße fangen recht schnell an zu qualmen. Ständig hören wir Murmeltiere, erblicken können wir aber leider keines. Uns kommt ein Wanderer recht hastig den Berg hoch entgegen. „Sie sind aber flott. Wohin des Weges?“, frag ich ihn. „Nach Oberstdorf“, ist seine kurze knappe Antwort. Es dauert ein paar Sekunden bis mir bewusst wird: „Moment mal, da waren wir doch vor zwei Tagen.“ Er schildert seinen Tagesplan. Dass er vor dreieinhalb Stunden in Zams gestartet ist und tatsächlich heute noch nach Oberstdorf möchte. Also die Route an einem Tag, für die wir drei Tage eingeplant haben. Und die Strecken in den Ebenen möchte er joggen. Also nix Shuttlebus oder Taxi so wie wir faule Socken. Und da das noch nicht genug ist, erzählt er uns, dass er gestern in Bozen gestartet ist und die Strecke bis Zams mit dem Fahrrad zurückgelegt hat. Der Mann ist auf jeden Fall fit, denk ich mir und ich hätte da noch weitere Fragen, aber seine Hummeln im Hintern sind unüberhörbar. Also verabschieden wir uns wieder.

Untere Lochalm

Nach einer Weile steilen Abstiegs erreichen wir den Boden des Zammer Lochs und der Lochbach stößt zu uns. Oberhalb sehen wir Kühe am Rande des Baches weiden. Wir schnallen unsere Wanderschuhe ab und waten barfuß durch den Bach. Ein herrliches Gefühl. Wir sehen, wie sich jemand sogar komplett ins eiskalte Wasser legt. Crazy Typ. Der junge Wanderer mit den kaputten Schuhen und seine Begleiterinnen erreichen kurz nach uns den Bach. Er hat seine Schuhe mit Panzertape geflickt und kommt damit wohl ganz gut klar. Allerdings scheint sich das Tape bereits wieder zu lösen. Wir gehen eine Weile zusammen durchs Zammer Loch und bald schließt auch die Architektenfamilie auf. Das nächste Ziel ist die Untere Lochalm, wo wir Mittagspause machen wollen. Dort angekommen warten schon einige bekannte Gesichter auf uns. Die Untere Lochalm liegt sehr idyllisch im Tal. Einige Tiere streunern umher wie Hunde oder auch kleine Ponys. Es gibt sehr leckere rustikale Brotzeiten mit Schinken, Käse oder Kaminwurzen. Ein Highlight ist auch das etwas oberhalb gelegene romantische Klohäuschen aus Holz mit Herz in der Tür. Seine Wasserflasche kann man hier auch unbedenklich an der Quelle unweit der Alm auffüllen, versichert uns der Wirt. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein.

Abstiege können echt schmerzen

Nach der kleinen Stärkung geht es weiter. Bis Zams sind es noch gut 7,5 Kilometer. Der Weg zieht sich. Man kann die Häuser im Inntal schon von Weitem aus sehen aber man sollte sich nicht zu früh freuen. Uns qualmen die Fußsohlen und auch die Knie fangen an zu schmerzen unter der ständigen Belastung bergab. Insgesamt sind es 1.800 Höhenmeter von der Seescharte bis Zams. Der längste Abstieg unserer Tour. Knapp 2km vor dem Ziel überholen wir den Vater mit der Tochter, die tags zuvor aus dem Bach getrunken hat. Sie muss sich übergeben. Das 13te Mal heute, wie der Vater uns erzählt. Er selber hat Gott sei Dank das Wasser nicht getrunken und seine Flasche direkt wieder ausgekippt, als er das Schild gesehen hatte. Für die junge Frau ist es aber grad die Hölle auf Erden. Wir bieten ihr Elektrolyte an, aber es bleibt eh nix drin, meint sie. Sie hofft, es wenigstens bis zum Krankenhaus in Zams zu schaffen. Wir wünschen viel Glück, gute Besserung und gehen weiter.Kurz vor dem Talboden kommen uns allerdings Bergretter mit einer mobilen Trage entgegen. Die junge Frau war dann wohl doch zu entkräftet, um weiter zu gehen.

Endlich erreichen wir Zams und decken uns im örtlichen Supermarkt erstmal neu mit Proviant ein. Danach müssen wir nur noch schauen, wie wir zur Zamser Skihütte kommen. Diese befindet sich leider etwa in Höhe der Mittelstation der Venetbahn. Also gut 4km Strecke und knapp 1000 Höhenmeter entfernt. Die Venetbahn fährt diesen Sommer nur leider aufgrund Wartungsarbeiten nicht und Laufen kommt für uns nicht mehr in Frage. Zum Glück bietet die Zamser Skihütte einen Shuttleservice an. Kurz angerufen, einen Treffpunkt ausgemacht und wenig später kommt der Chef uns höchstpersönlich abholen. Gott sei Dank hab ich mit Alex vorne Platz genommen. Der Kollege fährt einen ziemlich heißen Reifen. So als wolle er seine persönliche Bestmarke unterbieten. Hinten im Transporter wäre mir sicherlich schlecht geworden. Entsprechend schnell sind wir aber auch an unserer neuen Unterkunft auf 1780m.

Skihütte Zams

Die Zamser Skihütte wird im Gegensatz zu den anderen Berghütten unserer Tour nicht vom DAV sondern privat betrieben. Das zeigt sich entsprechend auch im Komfort. Es gibt ein eigenes Bad auf dem Zimmer mit durchgehend warmem Wasser, ausreichend Steckdosen und sogar Induktionsladeflächen fürs Handy über jedem Bett. Wir nutzen das ausreichend vorhandene Mobilfunknetz aus und telefonieren mit unseren Liebsten. Zudem bietet die Hütte einen Wäscheservice an. Pro Gast kann eine komplette Montur abgegeben werden, die bis 22 Uhr gewaschen wird. Diesen Service nehmen wir natürlich gerne in Anspruch.

Von der Außenterrasse hat man einen schönen Blick über das Inntal auf die gegenüber liegenden Lechtaler Alpen. Der weitere Abend verläuft unspektakulär. Zum Abendessen gibt es leckere Käsespätzle und wir spielen noch mit zwei Frauen an unserem Tisch ein paar Runden Uno. Mittlerweile ist auch der Vater mit seiner Tochter eingetroffen und wir sind erleichtert, dass es ihr wieder einigermaßen gut geht. Relativ früh geht es aber dann auch für uns in die Koje, da der Tag extrem anstrengend, aber auch sehr aufregend und eindrucksvoll war.

Skihütte Zams - Braunschweiger Hütte

Der Tag beginnt mit einem richtigen Dämpfer. Alex muss leider abbrechen. Seine Knieschmerzen sind zu stark und aufgrund der nun folgenden Hammeretappen wäre es unvernünftig weiter zu laufen. Größten Respekt vor dieser mutigen Entscheidung, die ihm sicherlich nicht leicht gefallen ist. Die Wehmut ist ihm auch anzusehen. Schließlich hat er sich über ein Jahr auf diese Tour vorbereitet und jetzt ist schon zur Halbzeit Schluss. Wir sind sehr traurig und suchen noch nach Lösungen, evtl. mit Öffis vor zu reisen in der Hoffnung dass ein bisschen Pause dem Knie gut tun würde. Die Gefahr irgendwo im Berg mit Schmerzen zu stranden ist dann aber doch zu hoch. Alex beschließt mit der Bahn zurück zu seinem Auto nach Fischen zu reisen. Er ist dankbar für das Erlebte und will den Rest der Tour irgendwann nachholen.

Doch nicht nur unsere Gruppe ist jetzt dezimiert. Beim Frühstück fällt uns auf, dass doch sehr viele Gesichter aus den einzelnen Gruppen fehlen. So z.B. der junge Kerl mit den Panzertape-geflickten Wanderschuhen oder eine der beiden Frauen vom Uno-Abend vorher. Der junge Kerl hat wohl gestern aus dem Bach getrunken wo weiter oberhalb die Kühe weideten. Die Folge: Magen-Darm. Ähnlich lautet die Geschichte bei drei weiteren Wanderern. Die Frau von gestern Abend hat zwar nicht aus einem Bach getrunken, sich nachts aber auch übergeben. Wer weiß wo sie es her hat. In dem Moment fällt mir auf, dass ich gar keine Medikamente gegen Magen-Darm dabei habe. Aber wird schon schief gehen.

Auf den Venet

Wir verabschieden uns schweren Herzens von Alex und starten wieder sehr früh. Diese Etappe ist zweigeteilt. Zunächst geht es hoch auf den Venet und ein Stück über dessen Kamm bis zum Kreuzjoch. Von dort führt der Weg dann runter ins Pitztal nach Wenns. Hier steigen wir in den Postbus, der uns ans Talende nach Mittelberg bringt, von wo aus der Anstieg zur Braunschweiger Hütte ansteht. Insgesamt knapp 19km mit zwei Anstiegen und erneut einem recht langen Abstieg. Packen wir’s. Das Wetter ist richtig gut, leicht bewölkt und nicht zu heiß. Der Weg führt uns zunächst zur Bergstation der Venetbahn auf den Krahberg. Die Aussicht ist fantastisch. Hinter uns die Lechtaler und vor uns die Ötztaler Alpen. Ich kenne die Gegend aus diversen Skiurlauben und es ist spannend die Skigebiete in Serfaus-Fiss-Ladis oder am Hochzeiger aus der Ferne zu erkunden.

Am Krahberg treffen wir die Stuttgarter Familie wieder, die wir bereits am zweiten Tag kennengelernt hatten. Wir wandern erneut ein Stück zusammen. Vom Krahberg aus sehen wir bereits hintereinander die einzelnen Gipfel des Venets, die wir in Kürze erklimmen wollen. Der erste und zugleich höchste ist die Glanderspitze mit 2512m, gefolgt von den nicht wesentlich niedrigeren Piller, Wannejöchl und Kreuzjoch. Ich freu mich riesig auf die Gratwanderung. Kurz vor der Glanderspitze steht auf einer kleinen Erhebung das Piller Kreuz. Es herrscht Hochbetrieb. Jeder möchte ein Foto vor dem Kreuz und auch wir stellen uns in die Schlange. Die 360° Sicht ist einfach nur atemberaubend. Nach einer kurzen Rast gehen wir weiter den Grat entlang. Kurz vorm Wannejöchl führt der Hauptweg des E5 bereits südseitig ins Tal Richtung Wenns, den die meisten vor uns laufenden Wanderer auch gehen. Wir entscheiden uns aber, dem Grat weiter zu folgen bis zum Kreuzjoch und dort erst abzusteigen. Eine sehr gute Entscheidung, weil nur vom Kreuzjoch hat man eine super Aussicht nach Osten ins Inntal, ins Gurgltal und auf den die beiden Täler trennenden Tschirgant mit seiner von Westen aus gesehenen markanten Pyramidenform.

Abstieg nach Wenns

Wir genießen die Aussicht nur kurz, weil jetzt der knapp 1.500 Höhenmeter umfassende Abstieg nach Wenns ansteht. Ich bekomme schon Phantomschmerzen unter den Füßen, wenn ich nur daran denke. Wir bekommen langsam Hunger und machen als nächstes Ziel die gut eine Stunde entfernte Larcher Alm aus. Der Abstieg dorthin ist mühsam und steinig und es dauert auch nicht lange, bis die Schmerzen kommen. Eine Wohltat als wir an der Larcher Alm endlich unsere Schuhe ausziehen können. An eines haben wir aber die ganze Zeit nicht gedacht. Der Postbus ab Wenns fährt nur stündlich und braucht auch bis Mittelberg eine gute Stunde. Vielleicht sollten wir nicht mehr ganz so gemütlich unterwegs sein.

Wir setzen uns als Ziel, den Bus um 14:58 Uhr zu nehmen. Es ist gerade kurz vor eins, also noch gut 2 Stunden Zeit. Laut Komoot sind es 1:50h bisWenns, der Wegweiser vor der Hütte zeigt 1:30h und der Wirt sagt, man schafft es auch in 1:10h. Also schnell eine Hauswurst inhaliert und um 13:20 Uhr sind wir wieder auf der Piste. Um sicher zu gehen, drehen wir das Hackengas auf und nach 55 Minuten erreichen wir die Bushaltestelle in Wenns. Meine Füße kann ich jetzt aber erstmal wegwerfen.

Eine Busfahrt, die ist ... einschläfernd

Der Bus kommt pünktlich und innen ist es saubequem. Zu bequem. Ich habe Mühe, nicht einzuschlafen. Denn das wäre mein Todesurteil. Ich käme nicht mehr auf die Beine. Nach einer endlos langen Stunde kommen wir endlich an der Endstation an und die Motivation ist nicht nur bei mir im Keller. Aber es nützt ja nix. Wir müssen da jetzt hoch. 5km Wegstrecke, knapp 1000 Höhenmeter bis zur Braunschweiger Hütte.

Eine andere Welt

Also los. Wir gehen zunächst noch ein Stück das Tal entlang bis zur Gletscherstube. Dort hat man dann die Möglichkeit den Jägersteig zu nehmen oder am Wasserfall vorbei zu wandern. Beides ungefähr gleich lang. Wir lassen Jason entscheiden und er plädiert für den Wasserfall. Der Anstieg hoch zur Hütte ist mit der anspruchsvollste der gesamten Tour. Es geht über dicke, wackelige Felsen, Steige mit Drahtseilen und sehr steile Passagen. Kaum zu glauben, dass uns auf dem Weg eine Frau mit Beinprothese und eine mit Hund entgegen kommen. Unsere Pace wird immer langsamer, dafür aber die Umgebung immer spektakulärer. Mittlerweile schiebt sich die Wildspitze in die Szenerie und wir haben freien Blick auf den Pitztalgletscherund den Mittelbergferner. Gigantisch, die Gletscher auch mal im Sommer zu sehen. Diesen Anblick wird es aber vermutlich leider nicht mehr allzu lange geben. Die Braunschweiger Hütte nähert sich nur langsam. Kurz vorher erblicken wir endlich unser erstes Murmeltier.

Braunschweiger Hütte

Endlich haben wir es geschafft. Oben warten zwei junge Kerle. Zwei gut trainierte Fußballer aus der Nähe Karlsruhe, die mit ihren Müttern den E5 laufen. Während der Etappen sind sie in der Regel aufgrund des unterschiedlichen Tempos getrennt unterwegs. Die Jungs sind in Mittelberg gleichzeitig mit uns los, waren längere Zeit nicht mehr zu sehen und am Ende hatten wir sie fast wieder eingeholt. Sie zollen Jason Respekt für seine Leistung. Wahnsinn was der Junge heute abgerissen hat auf dieser richtig anspruchsvollen Etappe. Stolz überwiegt die Müdigkeit.

Die Braunschweiger Hütte gefällt mir sehr gut. Der Gastraum ist urig und gemütlich. Zum Abendessen setzen wir uns zu einer Gruppe Hochschulabsolventen, die wir bereits vom Sehen her kannten aber mit denen wir bisher noch kein Wort gewechselt hatten. Wir quatschen über die tolle Lage der Hütte und unsere bisherigen Erfahrungen auf der Tour. Sie fragen uns, ob wir am ersten Tag auch in das Unwetter gekommen wären. Wir verneinen, da wir es uns ja zu der Zeit im Gasthof Spielmannssau gemütlich gemacht hatten. Im Nachhinein ein Glück, da das Gewitter die Gruppe wohl mitten im Berg erwischt hatte und sie sich schulbuchmäßig im Abstand von 50 Metern auf den Boden kauern mussten. Ich bin froh, dass uns diese Situation bisher erspart blieb und laut Wetterbericht auch erspart bleiben wird.

Nach dem Abendessen machen wir uns frisch. Eine Minute warme Dusche für einen Euro. Fairer Deal und das Wasser kann man sogar zwischendurch stoppen und die Zeit hält an. Extrem müde schleppen wir uns nochmal für ein letztes Getränk in die Gaststube. Beim Mau-Mau fallen mir beinahe die Augen zu. Der Chefkellner plaudert am Nachbartisch mit einem Gast und ich lausche zu. Er erzählt, dass er mit seiner Frau während der Wandersaison vier Monate lang hier oben auf der Hütte angestellt ist. Sie verdienen in diesem Zeitraum genug Geld, um die restlichen acht Monate an preisgünstigen Orten auf der Welt leben zu können, ohne arbeiten zu müssen. Sei es z.B. in ihrem Campervan in Portugal oder in einem Apartment in Südostasien. Ein echt spannendes Lebensmodell, aber auch nur machbar, wenn man keine Kinder hat. Mittlerweile sitzen nur noch eine Handvoll Männlein in der Gaststube und wir beschließen, den Tag zu beenden.

Braunschweiger Hütte - Martin-Busch-Hütte

Mit über 20km Fußstrecke steht heute die längste Etappe unserer Tour auf dem Plan. Entsprechend früh fängt auch diesmal der Vogel den Wurm. Im Freien merkt man auch deutlich die Höhe. Es ist sehr frisch. Wir wandern zunächst ein kurzes Stück aufwärts zum Pitztaler Jöchl. Erneut sind wir an diesem Tag wieder die Pioniere und bereiten den anderen den Weg.

Steinböcke vs Wanderer

Nach kurzer Zeit entdecken wir eine Steinbockherde über uns. Wir kommen den Tieren sehr Nahe und plötzlich schreit Christian auf. Einer der Böcke hat einen schuhkartongroßen Stein losgetreten und dieser eiert gerade auf mich zu. Er schlägt wegen seiner eckigen Form Haken und ich kann mich nicht entscheiden, wo ich mich hinbewegen soll. Kurz vor mir wechselt er die Richtung und rollt Richtung Jason, der noch einige Meter weiter unter mir steht. Mir rutscht das Herz in die Bux, doch Gott sei Dank bleibt er einen knappen Meter vor Jason liegen. Glück gehabt. Erleichtert gehen wir weiter, doch dann stehen zwei Steinböcke mitten auf dem Weg und kämpfen mit ihren Hörnern. Da möchte man nicht unbedingt zwischen geraten. Wir haben aufgrund des Steilhangs keine Möglichkeit, die Tiere zu umgehen. Was also tun? Kurz googlen, wie man sich in solch einer Situation verhält, und dann ganz langsam weiter. Steinböcke sind scheue Tiere und meiden den Kontakt mit Menschen, wenn sie nicht gerade erschreckt werden oder ihre Jungtiere beschützen wollen. Mulmig treiben wir die Tiere langsam vor uns her, bis sie schließlich den Weg räumen und bergauf verschwinden. So eine Aufregung direkt am Morgen. Wir verschnaufen und blicken zurück zur Braunschweiger Hütte.

Pitztaler Jöchl

Die Wolkendecke liegt sehr hoch und das Gletscher-Panorama mit der Wildspitze als Highlight erstreckt sich vor uns. Einfach sensationell. Eine ganz andere Welt hier oben. Kurz vor dem Pitztaler Jöchl wird es nochmal haarig. Wir müssen die Stöcke an die Rucksäcke schnallen, da wir jetzt beide Hände brauchen für den steilen Steig. Oben angekommen kratzen wir fast an der 3000er Marke. 5 Meter fehlen. Da wir aber wissen, dass wir sie morgen knacken werden, verzichten wir darauf, den angrenzenden Berg noch ein Stück hoch zu kraxeln. Vom Jöchl blickt man ins Söldener Gletscherskigebiet, welches ich auch nur aus dem Winter kenne. Im Sommer wirkt es trostlos. Alles grau in grau, sehr viel Beton und einige Schneefelder sind mit weißen Planen abgedeckt, um sie vor dem Abschmelzen zu schützen.

Wir müssen nun runter zur Gletscher Arena. Von dort wollen wir den Bus nehmen, der uns durch den Rosi-Mittermaier-Tunnel zum Tiefenbachferner bringt. Auf dem Weg abwärts geht es zunächst wieder durch einen Steig und anschließend durchqueren wir ein Schneefeld. Jason und Christian haben sichtlich Spaß, als sie auf ihren Popos den Hang runter sausen. Mir ist die Idee gar nicht gekommen, blöderweise bin ich jetzt aber auch schon unten. Wir schauen zurück zum Jöchl und sehen die nachfolgenden Wanderer den Steig durchqueren. Es hat sich ein Stau gebildet und wir sind froh, sehr früh aufgebrochen zu sein.

Von Mautgebühren und stürzenden Wanderern

An der Gletscher Arena steht bereits ein Shuttle-Service bereit. Der normale Linienbus würde aber auch in 20 Minuten kommen. Der Fahrer des Shuttlebusses erklärt, er sei nur einen Euro teurer, würde sofort losfahren und uns auch direkt bis zum Startpunkt des Panoramawegs nach Vent bringen. Der Linienbus hält hingegen einige Meter entfernt. Überzeugt. Wir steigen ein und der Fahrer schwallt direkt los. Ein richtiges Unikat, wie sich herausstellt. Er echauffiert sich über die Regionalverwaltung wegen der Mautgebühren für die Gletscherstraße und über Wanderer, die um jeden Cent feilschen. Er würde ständig welche beobachten, die bereits hunderte Meter vor der Haltestelle anfangen zu rennen, sobald sie den Linienbus sehen. Einige legen sich dann auch mal vor lauter Hast auf die Nase. Er wolle darüber ein ganzes Buch schreiben, wenn er in 5 Jahren in Rente geht. Es macht Spaß, ihm zuzuhören, doch leider sind wir schon am Tiefenbachferner angekommen. Wir verabschieden uns und ich wünsche ihm noch viel Erfolg mit seinem Buch.

Venter Panoramaweg

Am Tiefenbachferner beginnt der knapp 12km lange Panoramaweg nach Vent. Der Himmel klart immer mehr auf und der Weg geht angenehm stetig leicht bergab. Gegenüber des Venter Tals ersteckt sich der Ramolkamm mit dem Ramolkogel als höchste Erhebung. Kleinere Gletscher glitzern in der Sonne. Aus dem Tal steigen ab und zu Nebelschwaden auf. Es ist sehr ruhig und wir genießen die friedliche Stimmung. Jeder läuft für sich und ich verliere mich in Gedanken. Ich bin gerade richtig glücklich. Kein Stress, keine Anstrengung, keine Schmerzen, nur meine Familie vermisse ich schon recht doll. Nach einiger Zeit erreichen wir einen kleinen See - den Weißkarsee auf 2.656m Höhe. An dessen Ufer wachsen Pflanzen mit lustigen Püscheln. Sie erinnern an Pusteblumen, sind aber viel flauschiger. Der Ort ist sehr idyllisch und wirkt verträumt. An einer Hinweistafel liegt ein Stempel bereit. Da wir keine Stempelhefte haben „tätowieren“ wir uns kurzfristig die Haut.

Wir halten kurz inne und gehen dann weiter. Langsam schiebt sich der Similaun immer mehr ins Blickfeld. Vent ist mittlerweile auch zu erkennen und die Sehnsucht nach einem kühlen Getränk und was zu essen wächst. Eine einzelne Wanderin kommt uns entgegen, die uns bei einem Plausch erzählt, dass sie den E5 in entgegengesetzter Richtung wandert. Ich überlege, ob das einen großen Unterschied macht. Vermutlich nicht. Ansonsten sind wir aber mutterseelenallein. Die Gegend ist fantastisch. Der Panoramaweg macht seinem Namen alle Ehre. Die Blicke gehen tief hinein ins Venter Tal hinter uns und ins Nieder- und Rofental vor uns liegend. Der Kontrast zwischen dem blauweißem Himmel und den saftigen grünen Wiesen ist einfach nur toll. Vent kommt langsam aber sicher näher. Dort angekommen nehmen wir den erstbesten Gasthof. Wir sitzen draußen auf der Terrasse, entspannen unsere Füße und essen eine Kleinigkeit.

Es nimmt kein Ende...

Von Vent bis zur Martin-Busch-Hütte sind es noch gut 7,5km durchs Niedertal und wir möchten uns nicht allzu lange aufhalten. Also weiter geht’s. Die Steigung von 600 Höhenmeter ist recht human, doch der Weg zieht sich. Die Sonne knallt und der Similaun als Fixpunkt am Ende des Tals will nicht näher kommen. Das Tal an sich ist auch nicht wirklich spektakulär. Es gibt recht wenig Abwechslung. Hinter jeder Kurve vermuten wir, unser Ziel zu erblicken, doch wir sehen immer nur die nächste Kurve. Wir merken die Kilometer des Tages und der letzten Etappen in den Knochen und mittlerweile geh ich auf dem Zahnfleisch. Dann endlich hinter der gefühlt 500sten Kurve erscheint die Martin-Busch-Hütte in greifbarer Nähe. An der Kurve steht ein Schild: „Hier letztmaliger Handyempfang“. Netter Service und alle drei zücken ihr Handy...

Seid ihr Asi?

Im Gegensatz zu den anderen Tagen sind wir recht früh am Etappenziel. Wir checken ein und genehmigen uns direkt ein Weizenbier bzw. eine Almdudler auf der Terrasse. Es werden dann ein paar mehr und wir verpassen die Startzeit fürs Abendessen. In der Gaststube ist mittlerweile jeder Platz belegt, bis auf zwei Tische. Diese sind jedoch reserviert für „Asi“ und „Marquardt“. Ich bin mir unschlüssig, ob ich solche Reservierungen gut finden soll. Einerseits möchte man natürlich als große Gruppe zusammensitzen, anderseits müssen andere Wanderer dann - also wir in diesem Fall - gerade bei Platzmangel, der auf manchen Hütten herrscht, gucken wo sie bleiben. Wir werden aber notdürftig in einen separaten Nebenraum verfrachtet, in dem gerade die Pächterfamilie zu Abend isst.

Kurze Zeit später kommen die Hochschulabsolventen von gestern Abend in die Stube. Auf den Hinweis, dass sie reserviert hätten, fragt die Kellnerin: „Seid ihr Asi?“. Jason prustet los und ich muss mir mein Lachen auch regelrecht verkneifen. Die verdutzten Gesichter der Absolventen bringen weitere Komik in die Situation. Die Kellnerin entschärft die angespannte Situation allerdings recht schnell: „Oder seid ihr Marquardt?“ Die Gruppe wird zu ihrem Tisch geführt und wir bleiben also erstmal allein an unserem Tisch. Bis die Stuttgarter Familie ebenfalls in der Hütte eintrifft und sich zu uns gesellt. Der Abend wird dann noch richtig schön und erzählfreudig bis uns erneut die Müdigkeit übermannt.

Martin-Busch-Hütte - Vernagt

Letzte Etappe und noch ein besonderes Highlight wartet auf uns. Wir wollen einen kleinen Abstecher machen zur Ötzi-Fundstelle am Tisenjoch. In den Tagen zuvor haben uns bereits zwei Gruppen davon abgeraten, da man angeblich spezielle Ausrüstung benötigt, um dorthin zu gelangen. Die Hauswirtin der Martin-Busch-Hütte versichert uns aber, dass dies nicht der Fall ist. Nur wenn man von der anderen Seite aus dem Rofental aufsteigt, muss man über den Hochjochferner und braucht entsprechendes Gerät.

Über Stock, Stein und Schnee

Wir sind erneut die ersten, die aufbrechen. Im Tal ist es kühl, die Sonne hat es noch nicht über den Bergrücken geschafft. Am Horizont sehen wir bereits das Niederjoch mit der Similaunhütte. Der letzte Aufstieg unserer Tour, von dort geht es dann nur noch bergab zumVernagt-Stausee. Unser Weg führt aber kurze Zeit später rechts den Hang hoch Richtung Tisenjoch. Die Sonne hat es mittlerweile über den Berg geschafft und wir entledigen uns rasch unserer warmen Klamotten. Heute ist der Himmel das erste Mal auf unserer Tour komplett wolkenfrei. Wir wandern stetig leicht bergauf den Hang entlang. Gegenüber präsentiert sich in voller Pracht der Similaun mit seinen Gletschern. Es wird immer karger und vegetationsärmer. Mittlerweile durchqueren wir einzelne Schneefelder. Keines jedoch so groß oder steil, dass wir unsere Grödel auspacken müssen.

L'uomo del Similaun

Der Höhepunkt des Tages ist schnell erreicht: die Ötzi-Fundstelle am Tisenjoch auf 3.210m Höhe. Gleichzeitig auch der höchste Punkt unserer Alpenüberquerung. Wir sind richtig stolz auf uns. Und die Aussicht ist phänomenal. Der Blick reicht über das vor uns liegende Schnalstal mit dem türkisblauen Vernagt-Stausee bis hin zur Ortlergruppe mit seinen markanten Berggipfeln. Wir verweilen noch ein bisschen am Denkmal des wohl ältesten bekannten Bewohner der Alpen. Wahnsinn, welche Strapazen die Menschen vor über 5.000 Jahren auf sich genommen haben.

Der Endboss

Die Similaunhütte ist nun unser nächstes Ziel und der direkte Weg führt über den Grat entlang der österreichisch-italienischen Grenze. Der Wegweiser ordnet die Strecke in die schwarze Schwierigkeitsstufe ein und wir wappnen uns bereits für ordentliche Kraxeleien. Und in der Tat entpuppt sich der Weg als Endgegner. Es geht über große, wacklige Felsen, über mehrere seilgeführte Steige und schmale Stellen entlang des Grates. Hatte ich - bis auf die Brücke in Holzgau abgesehen - bisher keine Probleme mit meiner leichten Höhenangst, so muss ich dieses Mal teilweise gebückt gehen. Alles in allem ist der Weg aber richtig toll und wir haben eine Menge Spaß beim Kraxeln.

Similaunhütte

Nach gut einer Stunde erreichen wir die Similaunhütte. Wir treffen einige bekannte Gesichter. Manche sind zunächst hier zur Hütte gewandert und wollen nun ohne Gepäck den Abstecher zu Ötzi machen. Wir empfehlen allerdings, die Stöcke ebenfalls da zu lassen, da man auf dem Grat beide Hände braucht. Die Stuttgarter Familie macht ebenfalls gerade Rast und wir beschließen, gemeinsam den Abstieg ins Tal zu bewältigen. Andreas (der Vater Anm.d.Red.) hat übrigens auch Probleme mit den Sohlen seiner Wanderschuhe, aber sein Trick ist ein anderer. Drei Kabelbinder pro Schuh halten diese zusammen. Sieht jedenfalls stabiler aus als mit Panzertape.

Bella Italia

Nach einem Getränk geht es los. Zum Abschluss liegen noch 5km Wegstrecke und gut 1.200 Höhenmeter zwischen uns und dem inoffiziellen Ende unserer E5-Tour am Vernagt-Stausee. Wir legen ein gemütliches Tempo an den Tag. Der Stausee kommt immer näher und unser Erlebnis neigt sich dem Ende zu. Zwischendurch sehen wir noch vereinzelt Murmeltiere aus nächster Nähe. Hier in Italien sind sie anscheinend nicht so schüchtern wie ihre österreichischen Genossen.

An einem Gatter versperrt eine Kuh uns den Weg, doch der Sohn unserer befreundeten Familie, welcher zufälligerweise auch Landwirt ist, verscheucht sie mit einem gekonnten Klaps auf den Po. Das letzte Hindernis ist somit genommen und am Nachmittag erreichen wir den Vernagt-Stausee. Wir würden gerne reinspringen, doch im Stausee ist Baden verboten. Überglücklich klatschen wir uns ab. 6 anstrengende Etappen mit vielen Höhen und leider auch ein paar Tiefen liegen hinter uns. Ein ganz besonderes Erlebnis war es aber allemal.

Meran

Von Vernagt aus nehmen wir den Bus bis Naturns und von dort die Bahn bis Meran. Es ist laut, heiß und stickig in der proppenvollen Bahn und ich sehne mich schon nach der Einsamkeit und Frische der Berge zurück. Hab ich eben am Grat noch vom Enggegner gesprochen, ist diese Zugfahrt dem Endgegner sein Vater. Am Meraner Bahnhof verabschieden wir uns von den uns lieb gewonnenen Begleitern und gehen zu unserem Appartement. Nachdem wir uns frisch gemacht haben gönnen wir uns erstmal ein großes Gelato. Wir erkunden die Stadt und essen eine sehr leckere italienische Pizza. In unseren Bergwander-Klamotten passen wir nicht wirklich in die Atmosphäre des abendlichen Merans, das ein gewisses Dolce Vita versprüht. Auf unserem Rückweg zum Apartement treffen wir an einer Weinbar den Vater mit seinen drei Töchtern wieder. Diese haben Weitsicht bewiesen und speziell für den letzten Abend ihre Sommerkleider mitgenommen...